Größer als unsere Gedanken und Sorgen
Größer als unsere Gedanken und Sorgen
Ein Impuls von Msgr. Ludger Bornemann

Beim letzten Besuch in Qubeibeh müssen wir beim Abschied noch etwas warten: Ein großer LKW versperrt uns den Weg – Gott sei Dank ist er durch den Checkpoint gekommen mit der Lieferung neuer Windeln, die in der Pflege bettlägeriger Patientinnen gebraucht werden...
In den letzten Jahren bin ich oft hier gewesen, oft mit Pilgergruppen, mit Gästen – und immer an Weihnachten, um mit der Hausgemeinschaft von Beit Emmaus die Gottesdienste zu feiern. Dazu gehörte auch, am Nachmittag des Heiligen Abend oder in der Heiligen Nacht nach Betlehem zu gehen. Sozusagen vom Ende des Evangeliums zum Anfang.
In der kleinen Kapelle haben wir dann gefeiert, ein paar alte Frauen von der Station, die Schwestern, die Volontäre, eine kleine Gemeinde aus alten und jungen Leuten. Jedes Mal war es eine neue Gruppe, die so zusammenkam, für manche zum ersten Mal nicht daheim in der Familie, für manche mit der Frage, ob es wohl das letzte Weihnachten sein würde....
Das Evangelium war immer gleich: Maria brachte ihren Sohn, den Erstgeborenen, zur Welt.“ Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ (Lk 2,7). Und den Hirten auf dem Feld verkündet ein Engel die Geburt Jesu und fordert sie auf, das neugeborene Kind zu besuchen: “Und das soll euch ein Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ (Lk 2,12) Gleich zweimal erwähnt der Evangelist Lukas in der Geschichte von der Geburt Jesu die Windeln. Und sie werden sogar zum Zeichen! Zum Zeichen dafür, das Gott Mensch wird. Wirklich Mensch! Bedürftig und angewiesen auf die Hilfe anderer Menschen. Abhängig und wehrlos und vertraut mit dem ganzen Leben. Er kennt die Bandbreite unserer Gedanken und Gefühle, weiß auch, wie alltäglich unser Leben oft ist, ja oft banal. Vom Anfang bis zum Ende des Lebens...
Fast übersieht man den Schlussstein oben in der Kapelle von Beit Emmaus: eine Darstellung der Geburt Jesu, die über Weihnachten hinaus bleibt: Maria mit dem Kind – etwa beim Windeln wechseln? Oder doch bei der Anbetung? Oder bei beidem: beim Gottes-Dienst des Windel- wechselns!
Das Ornament an der Decke der Kapelle ist gleichzeitig der Grundstein für den Boden der Pflegestation. Wo auch wieder Windeln gebraucht werden, weil wir Menschen am Ende des Lebens ja auch wieder bedürftig und angewiesen auf Hilfe werden. Ob dann der Pflegedienst auch wieder Gottes- Dienst ist an den Kindern Gottes?
Manchmal war unsere Gottesdienstzeit auch gleichzeitig die Zeit für den muslimischen Gebetsruf in Qubeibeh „Allah hu akbar“: „Gott ist größer“ heißt das übersetzt. Größer als unsere Gedanken und Sorgen, größer als die Großen dieser Welt, die sich und ihre Macht absichern müssen. Gott ist so groß, das er so klein werden kann in der wehrlosen Macht der Liebe. Angewiesen auf unsere Hilfe, damit er in unsere Welt kommen kann....
Ein frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen Ludger Bornemann, Pfarrer in Münster